Zulieferer müssen ihre Eigenständigkeit fördern und pflegen
Die deutsche Automobilindustrie boomt, von Krise ist längst keine Spur mehr. Für die Hersteller mag das zutreffen - für Zulieferer und Händler geben Michael Siemon und Professor Rudolf Menne, Partner der Unternehmensberatung bcs-people automotive, allerdings noch keine Entwarnung. |
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Herr Siemon, die großen Automobilhersteller vermelden Absatzrekorde und streben weitere Steigerungen an - wo liegen für Zulieferer jetzt die größten Potenziale?
Michael Siemon: Die Zahlen, von denen derzeit zu lesen ist, muss man etwas relativieren. Im deutschen Markt sind 2010 2,9 Millionen Fahrzeuge abgesetzt worden - das sind immer noch 5,9 Prozent weniger als 2008. So glorreich, wie es die Presse und das Marketing der Hersteller vermuten lassen, ist die Situation also in der Region noch nicht. Das gesamte Wachstum vollzieht sich derzeit in den BRIC-Staaten: Brasilien, Russland, Indien und China. Das hat zur Folge, dass die OEMs, die Original Equipment Manufacturers, in diesen Ländern investieren. In unserer Region führt das eher zu einem gewissen Risiko. Wenn deutsche Automobilhersteller global investieren wollen, garantieren sie für die deutschen Standorte durch Arbeitsplatzzusagen sichere Arbeitsplätze für Mitarbeiter im eigenen Unternehmen. Das sind aber keine Zusagen für die Zulieferindustrie.
Wenn mehr Autos gebaut werden sollen, sind doch aber auch mehr Teile nötig. Oder?
Siemon: Selbstverständlich profitiert die Zulieferindustrie von diesen Zielen - allerdings nicht unbedingt in unserer Region. Die Betriebe werden sich neuen Herausforderungen stellen müssen, um an diesem Wachstum zu partizipieren.
Herr Menne, welche Herausforderungen sind das?
Rudolf Menne: Aufgrund der wachsenden Anforderungen des Marktes werden sich die Automobilhersteller zu High-Tech-Markenartiklern wandeln. Das ist auch eine Chance für die Zulieferer: Alle nicht markenprägenden Aufgaben werden in Zukunft in weit stärkerem Maße ausgelagert. Allerdings müssen die Zulieferer nicht nur qualitativ hochwertige Produkte liefern, sondern darüber hinaus auch innovativ sein. Die OEMs erwarten neue Denkansätze und Lösungen, die in dem Gesamtverbund Automobil zum Tragen kommen. In diesem Bereich sehen wir unsere Aufgabe als bcs-people: Wir möchten die Zulieferer darauf vorbereiten, dass sie innovativ tätig sein und Lösungen anbieten können, die den OEMs Vorteile verschaffen.
Erleben Sie positive Entwicklungen bei den Unternehmen unserer Region?
Menne: Wir haben einige gute Beispiele, die zeigen, dass man die Situation gut kennt und die Herausforderungen annimmt. Die Unternehmen sehen die Potenziale, wenn man sich richtig aufstellt: Sie können langfristig ein gesundes Geschäftsmodell an den Markt bringen.
Herr Siemon, nach dem Auslaufen der Abwrackprämie brachen die Fahrzeugzulassungszahlen in Deutschland ein; Volkswagen verkauft mittlerweile nur noch jedes siebte Auto in Deutschland. Wie behaupten sich die Autohäuser nun?
Siemon: Bedingt durch die Abwrackprämie war 2009 ein besonderes Jahr für den Automobilhandel. Viele Gebrauchtwagenkäufer haben ihr Fahrzeug gegen subventionierte Neuwagen getauscht. Damit waren die Autohäuser 2009 und Anfang 2010 gut ausgelastet. Ihr eigentliches Problem aber besteht schon lange - und kommt nun wieder zum Tragen: die Margenproblematik. Die Autohändler kalkulieren knapp; den Vorteil, den ihnen die Hersteller einräumen, geben sie zum größten Teil an ihre Kunden weiter. Da bleibt nicht mehr viel übrig, um die Fixkosten zu decken.
Warum lassen sich die Autohändler auf diese Rabattschlachten ein?
Siemon: Viele versuchen, ihre Margen über die Masse zu verbessern. Vielleicht räumt ihnen der Hersteller einen Volumenbonus ein. Die Händler hoffen aber auch, dass ihre Kunden aus der Region ihr Fahrzeug zur Reparatur oder Wartung in die angegliederte Werkstatt bringen, und auch ihr nächstes Auto wieder bei ihnen kaufen. Das ist das Einzige, woran die Händler noch verdienen können: Sie müssen aktiv mit dem Kunden umgehen.
Warum ist dieser Aspekt so wichtig?
Siemon: Ein Kunde, der nicht optimal betreut ist, ist sehr wechselwillig. Hier steht ein Kulturwechsel an: Automobilhändler dürfen nicht warten, bis der Kunde zu ihnen kommt - sie müssen zum Kunden kommen. Zwei Beispiele: Ist dem Händler bekannt, dass ein Kunde jährlich rund 20.000 Kilometer fährt, kann er ihm rechtzeitig ein Angebot zur Inspektion machen. Wenn jemand alle drei oder vier Jahre sein Fahrzeug wechselt, kann man ihn zu gegebener Zeit für ein neues Modell sensibilisieren. Eine stabile Datenbasis in einem professionellen Kundenbeziehungsmanagement führt dann zu einem stabilen Geschäft.
Herr Menne, das Umweltbewusstsein der Verbraucher steigt, immer mehr ärgern sich über hohe Benzinpreise. Elektromobilität bringt es aber noch nicht zur Serienreife. Welche Autos sind in Zukunft gefragt?
Menne: Individuelle Mobilität ist nach wie vor ein extrem hohes Gut, das der Kunde auch in den kommenden Jahrzehnten fordern wird. Daraus ergeben sich gewisse Rahmenbedingungen für die OEMs und die Zulieferer: Der Trend geht stark zu kleineren, umweltbewussteren Autos mit effizienteren Motoren. Diese führen in Richtung Hybridtechnologie, also Fahrzeuge, die einen Elektromotor mit einem kleinen Benzinmotor oder demnächst Dieselmotor kombinieren. In bestimmten Regionen wird es möglich sein, mit diesen Fahrzeugen rein elektrisch fahren zu können. Auch an rein batteriebetriebenen Fahrzeugen wird gearbeitet. Als weiterer Schritt ist die Wasserstofftechnologie zu nennen. Wir bewegen uns derzeit an einer Schnittstelle zwischen der CO2-Diskussion, das heißt gezielten Maßnahmen zur Verbrauchsabsenkung, und Komfort- und Sicherheitsansprüchen, die einerseits niemand aufgeben möchte, andererseits einer Verbrauchsreduzierung nicht förderlich sind.
Welche Ideen haben OEMs und Zulieferern in diesem Bereich entwickelt?
Menne: Zum Beispiel Fahrzeugassistenzsysteme oder Navigationssysteme, die unterschiedliche Fahrweisen erkennen und Ziele prognostizieren, ohne die entsprechende Route gespeichert zu haben. Oder die Fahrzeugkommunikation, mit deren Hilfe Unfälle vermieden werden können. Solche Technologien werden kommen - und die Zulieferer sind gefordert, diese innovativen Ideen mitzuentwickeln oder sogar selbst zu entwickeln. Sie müssen ihre Eigenständigkeit fördern und pflegen. Sie müssen dazu aber auch finanziell gesund aufgestellt sein; denn viele Investitionen werden in Zukunft auf die Zulieferer verlagert.
Wie reagieren vor allem kleinere Betriebe auf Ihre Beratung?
Menne: Die Erfahrungen mit unseren Kunden sind durchaus positiv. Zum einen können wir mit unserer Beratung auch gleich die Umsetzung anbieten. Zum anderen ist unsere Beratung zugeschnitten auf den Kunden. Das heißt, wir versetzen ihn in die Lage, sich entsprechend weiterzuentwickeln. Es ist aber natürlich sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Einige Unternehmen erkennen die Situation, sind aber in einer relativ guten finanziellen Lage und deshalb nicht unmittelbar bereit, sich aufgrund dieses Paradigmenwechsels neu aufzustellen. Wenn aber diese Überzeugungsarbeit geleistet ist, haben wir immer wieder festgestellt, dass die Unternehmen danach sehr dankbar waren. Sie merken sofort, dass sich so eine Änderung - wenn man sie entsprechend begleitet - sehr positiv auswirkt. Das ist eine der entscheidenden Stärken, die wir im Rahmen unseres Verbundes sehen.
Die bcs-people automotive GmbH ist ein Zusammenschluss selbstständiger Unternehmer mit Sitz in Wolfsburg.
bcs - das Kürzel steht für business consulting services - berät Unternehmen aus der Automobilbranche in Form von Management Consulting und Coaching, Projektmanagement, Strategieentwicklung und -beratung und IT-Beratung bis hin zur Übernahme von Verantwortung als Interim Manager oder Generalunternehmer. Die Berater verfügen über langjährige Erfahrung als Führungskräfte in der Automobilindustrie. Die bcs-people automotive GmbH wurde Ende 2006 gegründet, Geschäftsführer ist Joachim Tonassi.
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